Für den FC St. Pauli Kongress 2023 haben wir eine besondere Bildungskooperation geschlossen. Lars Hochmann, Professor und Studiengangsleiter an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung, unterstützt zusammen mit Studierenden den Verein bei der Planung, Durchführung und Nachbereitung des Kongresses. Im Blog-Beitrag stellt er den Studiengang und sein persönliches Anliegen vor.
„Trotzdem“ ist eins meiner Lieblingswörter. Nicht, weil ich ein Dickkopf bin – oder vielleicht auch ein bisschen deswegen. In erster Linie jedoch von Berufs wegen. Ich bin Sozialwissenschaftler und beschäftige mich mit der Frage, wie wir unsere Gesellschaft so organisieren können, dass ein gutes Leben für alle möglich ist. Heute, morgen und übermorgen. In der Wissenschaft nennen wir das eine nachhaltige Entwicklung. Um dazu beizutragen, müssen sich die meisten Organisationen schnell und grundlegend wandeln. Momentan organisieren wir unser Zusammenleben jedenfalls so, dass es oft leichter fällt, das Falsche zu tun. Ob im Discounter, bei der Urlaubsplanung oder im Profifußball. Das muss sich ändern. Und genau das ist die Zumutung unserer Zeit: inmitten schlimmer Dinge guter Dinge zu bleiben – nicht, weil‘s leichtfällt, sondern trotzdem.
Das Unwahrscheinliche wahrscheinlicher machen
Als Möglichkeitswissenschaftler interessiert mich nun vor allem die Frage: Wie geht das? Wenn der Wandel in Richtung mehr Solidarität, Demokratie und Nachhaltigkeit unwahrscheinlich ist, wie können wir ihn zumindest ein bisschen wahrscheinlicher machen? An welche Bedingungen ist er geknüpft? Was brauchen Menschen, um das Zusammenleben nachhaltig zu organisieren? Weil mich diese Fragen des Wandels als Forscher, Hochschullehrer und Studiengangsleiter beschäftigen, bin ich dankbar für die Gelegenheit und freue mich darauf, gemeinsam mit meinen Studierenden den FC St. Pauli bei der Kongressgestaltung zu unterstützen. Auch Fußball – und Sport im Allgemeinen – hat eine Verantwortung. Vereine sind wichtige Organisationen, die entscheidend dazu beitragen können, wohin die Reise gesellschaftlich geht. Der notwendige Wandel macht also auch vor ihnen nicht Halt.
Verständigung untereinander braucht Verständnis füreinander
Der FC St. Pauli Kongress wird ein bunter Ort der Begegnung sein. Unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Hoffnungen, Sehnsüchten und Wünschen, aber auch unterschiedlichen Hemmungen und Hemmnissen werden sich darüber austauschen, wie der Verein im Jahr 2035 aussehen kann – und was wir schon heute dafür tun können. Im Dialog entsteht nicht nur Verständnis für andere Standpunkte. Wir schöpfen auch Kraft, stärken die Gemeinschaft und räumen Barrieren und Missverständnisse bei Seite, sodass der Weg frei wird für eine gemeinsame Zukunft. In Vielfalt und als Gemeinschaft. Darin liegt auch außerhalb des Sports ein wichtiger Hebel auf dem Weg zu einem guten Leben für alle. Wir werden auf dem FC St. Pauli Kongress also im Kleinen üben, was im Großen und anderswo erforderlich ist.
Betroffene beteiligen
Es steht nichts weniger als Vereinsentwicklung an. Und Wandel, das wissen wir aus der Transformationsforschung, wird wahrscheinlicher, wenn Betroffene zu Beteiligten werden. Partizipation sorgt für bessere Ergebnisse und stärkt die demokratische Kultur, die dieser Tage auch gesellschaftlich immer stärker unter Druck gerät. Partizipation ist also wichtig. Und sie ist schwierig. Denn niemand darf übersehen werden, alle sollen sich auf Augenhöhe begegnen und ihre Sicht der Dinge einbringen können. Das gelingt selten geräuschlos. Im Gegenteil: Häufig knirscht es. Widerstände und teils unvereinbare Standpunkte treffen aufeinander. Was tun, um – trotzdem – am selben Ende des selben Strangs zu ziehen? Die Lösung ist einfach: sich helfen lassen. Eine professionelle Begleitung macht es wahrscheinlicher, dass partizipative Prozesse zu guten Ergebnissen führen und die Beteiligten dabei sogar eine gute Zeit haben. Partizipation ist nämlich nicht nur anstrengend. Sie macht auch Freude und Freunde.
Erfahrung kann man sehr wohl studieren
Von dieser Kunst der Ermöglichung handelt der Masterstudiengang ÖVI, den ich an unserer Hochschule leite. Die Abkürzung steht für den ausladenden Studiengangsnamen Ökonomie – Verantwortung – Institutionsgestaltung. In den drei Begriffen spiegelt sich der Zusammenhang von eben: da sind die großen Verhältnisse, die Ökonomie unserer Gesellschaft, die wir im Kleinen, unseren Institutionen, gestalten müssen, wenn wir Verantwortung für das Gemeinsame übernehmen wollen. Darum geht’s. Die Studierenden lernen, institutionelle Zusammenhänge als Produkt und Produktion gesellschaftlicher Zu- und Missstände zu verstehen und auf dieser Basis Betroffene zu Beteiligten zu machen. Partizipation und Teilhabe spielen genauso eine Rolle wie Moderation und Kommunikation. Da gelebte Verantwortung mit schmutzigen Händen einhergeht, kooperieren wir mit progressiven Partner*innen, die in ihren jeweiligen Handlungsfeldern die Regeln und Gepflogenheiten gegen den Strich bürsten wollen. In gemeinsamen Projekten lernen wir an der Erfahrung und durch die Reflexion dieser Erfahrungen. Von diesen Kooperationen profitieren beide Seiten: die Studierenden lernen in der wirklichen Welt, und unsere Praxispartner*innen freuen sich über handfeste Ergebnisse.
Studentisch moderiert, wissenschaftlich reflektiert
Der FC St. Pauli Kongress ist ein solches Projekt, in dem die Studierenden „meines“ ÖVI-Masters lernen, Räume für demokratische Selbstgestaltung zu öffnen. Wir werden den Kongress methodisch planen und moderieren. Für alle Teilnehmenden wollen wir die helfende Hand sein: nahbar, befähigend und unbestechlich. Wir sind keinem Einzelinteresse, sondern nur dem Gelingen des Kongresses gegenüber verpflichtet. Wir stellen sicher, dass alle mitgenommen werden – oder besser noch: alle mitreden können, wohin die Reise überhaupt gehen soll, die Gespräche auf Augenhöhe stattfinden und wir am Ende Ergebnisse produzieren, mit denen die Gremien und alle Engagierten des Vereins weiterarbeiten können. Das ist unser Auftrag und unser vorgezogenes Geburtstagsgeschenk für 125 Jahre FC St. Pauli.
Wie wir das genau machen, und was wir uns für den Kongress überlegt haben, das erfahrt ihr in wenigen Wochen hier auf dem Blog. Bis dahin spielen wir den Ball an Euch: Was ist Euch wichtig für den Kongress? Schreibt es uns an lars.hochmann(at)hfgg(punkt)de oder kommentiert im Blog.
Über den Autor:
Prof. Dr. Lars Hochmann, geb. 1987, ist Professor für Transformation und Unternehmung sowie Studiengangsleiter an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung. Lars lehrt und forscht zu nachhaltigen Organisationen im Kontext gesellschaftlicher Herausforderungen. Kneipe, Kunst und Kulinarik bilden die Eckpfeiler seines Lebens. www.lars-hochmann.de
Über die Hochschule:
Wir sind die Hochschule für Gesellschaftsgestaltung: unabhängig und transformativ seit 2014. Unsere Vision ist eine plurale Gesellschaft, die ein gutes Leben für alle ermöglicht. Deswegen befähigen wir Gesellschaftsgestalter*innen – inmitten der vielfältigen Krisen der Gegenwart. Wir lehren und forschen zu einer nachhaltigen Welt. Darunter verstehen wir eine lebendige und vielfältige Natur, eine solidarische und demokratische Gesellschaft sowie eine gerechte und lebensdienliche Wirtschaft. Mit mutigen Innovationen und transformativen Partnerschaften tragen wir bei zu einer verantwortungsstarken Wissenschaft und ermöglichen mit unseren einzigartigen und solidarisch finanzierten Studiengängen den notwendigen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft.